DAS SCHREIBGERAET ALS LEBENSENTSCHEIDUNG
Handelsblatt Nr. 209 vom 28.102022
Frank Du hast nach Deiner langjährigen Tätigkeit als Inhaber und Geschäftsführer eines sozialen Unternehmens den Ausstieg gewagt und bist Künstler geworden. Nun fertigst Du von Hand exklusive Schreibgeraete in Deiner Hamburger Atelier-Werkstatt. Was hast du in etwa vorher verdient und was verdienst Du jetzt?
Ich schreibe inzwischen die schwarze Null und werde ab Sommer 2023 voraussichtlich ein fünftel meines früheren Geschäftsführergehalts verdienen. Derzeit investiere ich noch alle Einnahmen in die Vermarktung und Steigerung des Bekanntheitsgrades. Mein Ziel ist dann aber, den Umsatz zu halten und nicht zu skalieren. Meine Kapazitäten als Kunsthandwerker sind auf natürliche Weise begrenzt und aktuell habe ich nicht vor, Personal einzustellen, um weiter zu wachsen.
Falls du dich verschlechtert hast beim Einkommen, war dir das bewusst?
Ja, selbstverständlich.
Warum hast du dich trotzdem für die neue Laufbahn entschieden?
Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich einfach kein Vollblut-Manager bin. Ich bin besser als Gründer und Macher unterwegs. Ich fühle mich wohler, wenn ich selbstbestimmt handeln und etwas Neues aufbauen und voranbringen kann. Ich wollte daher einfach einen Neustart - mit einem leeren, weißen Blatt Papier.
Wie kommst du mit dem neuen Einkommen klar?
Ich habe mit dem Erlös des Unternehmensverkaufs unser Haus und meine heimische Werkstatt abgezahlt, um keine finanziellen Verpflichtungen mehr zu haben. Der verbleibende Anteil war für eine Auszeit bzw. Neuorientierungsphase von 2-3 Jahren geplant.
Hast du im Vorfeld etwas gespart?
Ja. Zudem ist meine Frau Lehrerin und damit unsere "sichere Bank" für die Absicherung unseres Lebensunterhalts. Sie hat meine Ausstiegspläne von Anfang an unterstützt.
Wann hast du dich entschieden zu wechseln?
Ich habe in meinem Leben schon öfter Brüche riskiert und etwas völlig Neues angefangen. Der Reiz der Veränderung, die Freude daran, sich selbst neu zu erfinden und vor allem eine große, unstillbare Neugierde treiben mich dabei an.
Anfang 2020 bin ich an meinen Geschäftspartner herangetreten und habe ihm meinen Veränderungswunsch mitgeteilt. Im Herbst 2020 habe ich meine Anteile an ihn verkauft und bin aus dem operativen Geschäft ausgestiegen.
Gab es einen bestimmten Grund?
Das Unternehmen war gut aufgestellt und ist es auch heute noch. Doch nach zwölf Jahren als Geschäftsführer eines Sozialunternehmens mit 40 Mitarbeitern habe ich mich fremdbestimmt gefühlt. Es ging für mich nur noch darum, Prozesse zu perfektionieren, Exceltabellen zu füllen, und von der Metaebene herab pädagogische Themen zu managen. Ich war mal ein Erzieher aus Leidenschaft, doch in meiner Rolle als Geschäftsführer war ich vor allem verantwortlich für Zahlen und für das Handeln anderer.
Es ist, glaube ich, auch ganz gesund für ein erwachsen werdendes Unternehmen, wenn der Gründer irgendwann geht und ein Manager kommt.
Wann war der Moment, an dem dir klar wurde, dass du nun nicht mehr Chef sein möchtest, sondern Schreibgeraete herstellen willst?
Es gab nicht den einen Moment. Ich war als Entrepreneur erfolgreich, damit ist das Unternehmen gewachsen, aber die Freiheiten haben abgenommen und die Sachzwänge haben zugenommen. Es war ein längerer Prozess, bis ich mir eingestanden habe, dass ich nicht mehr als Geschäftsführer arbeiten möchte. Zu dem Zeitpunkt wollte ich wirklich nur noch ein leeres, weißes Blatt Papier vor mir wissen. Ich bin ausgestiegen ohne konkrete Zukunftspläne. Der Lockdown kam mir dann in die Quere. Wir waren als Familie zwangsläufig ans Haus gebunden. Ich habe mich ums Homeschooling unseres Sohnes gekümmert und meine Werkstatt wiederentdeckt - mein Refugium, wo ich in meiner Freizeit angefangen hatte, Füller aus Holz herzustellen. Vor den Füllfederhaltern hatte ich ein Boot gebaut - ein 6,5 Meter langes Doriboot aus Marinesperrholz. Danach brauchte ich eine neue Freizeitbeschäftigung, die besser in meine Werkstatt passt. Inspiriert durch Seefahrtsmaterialien wie Mahagoni, Ebenholz und Messing sowie durch die Kapitäne und die Geschichten in ihren Logbüchern rückten die Schreibgeräte ins Visier. Die Marke ELBWOOD hatte ich bereits 2016 eintragen lassen. Damals hatte ich erste Kugelschreiber aus edlen Hölzern in meiner Freizeit angefertigt und in einem Showroom in der Nähe der Elbphilharmonie präsentiert. Dies war als ausgleichende und ästhetisch wertvolle Nebentätigkeit gedacht. Fünf Jahre später, im Lockdown 2020/21 hat mich schließlich die Idee gepackt, ELBWOOD zu professionalisieren. Nach nur sechs Monaten Auszeit habe ich im Mai 2021 das Unternehmen ELBWOOD angemeldet und bin im November 2021 mit meinem Online Shop an den Markt gegangen.
Erfüllt dich die neue Aufgabe, oder bereust du den Schritt?
Ich bin glücklich, denn ich kann wieder als Pionier arbeiten und etwas aufbauen - im Kleinen und völlig selbstbestimmt. Zudem erfüllt es mich mit den Händen zu arbeiten und etwas Bleibendes zu erzeugen. Meine ersten Füllhalter waren ausschließlich aus Holz. Inzwischen habe ich viel experimentiert, so dass ich nun auch Edelmetalle und Ebonit (Naturkautschuk) verarbeiten kann. Jedes Stück ist eine Einzelanfertigung und damit ein Unikat.
Meinen Tagesablauf kann ich völlig frei gestalten. Ich kann zudem selbst bestimmen, was und wie ich an einem Tag fertigen werde. Und dann stehe ich an meinen alten Präzisions-Drehmaschinen in meiner Atelier-Werkstatt und bringe das Material in Form.
Mittlerweile versende ich meine Objekte weltweit und habe eine kleine, stetig wachsende, internationale Fangemeinde. Sammlerforen u.a. in den USA rezensieren meine Arbeiten überaus positiv - teilweise enthusiastisch. Im nächsten Jahr möchte ich Elbwood auf der größten Pen-Show der Welt in San Francisco, Kalifornien präsentieren.
Ich gehe in meiner Rolle des künstlerisch handwerkenden Entrepreneurs vollständig auf und fühle mich einfach lebendig.
Hast Du weitere Pläne für die nähere Zukunft?
Aktuell entwickle ich eine Masterclass - ein Einzelcoaching bzw. Incentive für Menschen in verantwortungsvollen Positionen, die vor ähnlichen Fragestellungen im Leben stehen, wie ich vor ein paar Jahren. Ich nehme mir Zeit für ihre Fragen, biete Möglichkeiten der Selbstreflexion, Anregungen für Perspektivwechsel oder höre einfach nur zu. Die Atelier-Werkstatt ist ein besonderer Raum in unserer schnelllebigen, digitalisierten Welt. Hier ist man ganz bei sich. Die intensive Fokussierung auf die Arbeit mit den Händen öffnet manch verschlossene Türen im Kopf.
Ein Coaching der besonderen Art. Eines mit handfestem Ergebnis. Unter meiner Anleitung baut man sich selbst sein ganz persönliches Schreibgerät. Einen Füllfederhalter als Lebensbegleiter und im besten Fall: Lebensveränderer.
Dies ist die vollständige und ungekürzte Version des Interviews wie es dem Handelsblatt gegeben wurde.